Grzegorz Owsian schnippelt Champignons. Ruck, zuck, einen nach dem anderen. So routiniert macht er das, dass man meinen könnte, er tut das seit Jahren im Restaurant Jakobs Söhne in der Jakobstraße. „Nein, ich bin erst seit November hier“, erklärt der 40-Jährige: „Vorher war ich 13 Jahre lang in London.“ Ein Umzug von London nach Görlitz? Aber nein doch. Umgezogen ist er nach Zgorzelec. Dort wurde er geboren, dort ist er aufgewachsen. „Mit zehn oder elf Jahren habe ich in der Schule deutsch gelernt“, berichtet er. Mit 24 aber ist er das erste Mal nach London gezogen, für 18 Monate. Dann kam er noch einmal für weitere 18 Monate zurück an die Neiße, aber ab 2006 verschlug es ihn erneut nach London – diesmal für 13 Jahre. Alles Mögliche habe er dort gemacht, erzählt Owsian. Zunächst sei er Koch gewesen, später Gabelstaplerfahrer, auch mal Barmann in einem traditionellen englischen Pub. Und noch ein paar weitere Sachen, die er lieber nicht so genau erläutern will.
Gemocht aber habe er London nicht: „Es war mir zu groß, zu schnell, zu viel.“ Durchgehalten habe er wegen der Arbeit und wegen der Liebe. Nach 13 Jahren aber habe er dann wirklich genug gehabt:„Eigentlich wollte ich schon seit fünf oder sechs Jahren zurückkommen, aber dann habe ich immer wieder etwas anderes zu tun gefunden.“ Er kennt andere Zugezogene, die dort Familien gegründet haben, deren Kinder in London in die Schule gehen. Das war bei ihm alles nicht der Fall, sodass der Weggang für ihn leichter möglich war als für manch anderen. Eine kleinere Stadt in England sei für ihn aber nie infrage gekommen: „London ist groß, da passiert immer was.“ In kleinere englische Städte gehe man höchstens für ein Studium oder einen besonderen Job. Eher konnte er sich vorstellen, nach Berlin zu ziehen: „Die Stadt ist nicht so groß, aber es ist alles da, was man auch in London findet“, sagt er – und verweist auf Musik und Kunst. Dann erfuhr er durch Zufall über einen Bekannten von früher, dass das Café Kugel in Görlitz einen Koch sucht. Er traf sich mal mit Enrico Merker vom Café Kugel. Die beiden wurden sich schnell einig. Allerdings fing er nicht als Koch im Kugel an, sondern in Merkers anderem Restaurant: Dem Jakobs Söhne. Nach Görlitz zu ziehen kam aber nicht infrage: „Ich stamme aus Zgorzelec und hatte schon eine Wohnung dort, musste also nicht suchen.“ Außerdem koste es drüben weniger. Und in Görlitz ist er trotzdem schnell.
Görlitz/Zgorzelec sei ein perfekter Punkt, sagt Owsian: Von hier ist man schnell in Berlin, Dresden, Prag und Wroclaw.“ Zudem brauchte er nach all den Jahren in London mehr Ruhe: „Die habe ich hier.“ Familie und Freunde seien auch schon da, insofern habe er nicht lange überlegen müssen. Der Brexit sei nicht der entscheidende Grund für seinen Umzug gewesen. Und von der Werbekampagne der Europastadt GmbH, die Brexit-Polen herlocken will, habe er erst erfahren, als er bereits zurück in der Heimat war. Seit November umwerben Görlitz und Zgorzelec einst nach Großbritannien ausgewanderte Polen über soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram und eine spezielle Internetseite. Die Botschaft: In Görlitz und Zgorzelec sind sie nah an ihrer Heimat und können doch alle Vorteile der EU genießen. Anders als künftig in Großbritannien. Für Grzegorz Owsian aber spielte eher das Geld die Hauptrolle für seinen Entschluss zurückzukehren: „Das Pfund steht gerade nicht so gut.“ Und das Wohnen in London sei wirklich teuer. Ein Zimmer in einer WG, in der er mit Fremden zusammengelebt hat, habe ihn 500 bis 600 Pfund im Monat gekostet, also umgerechnet ungefähr 600 bis 700 Euro. Es habe aber auch Zimmer für 800 und sogar 1.000 Pfund gegeben, also bis zu 1.200 Euro im Monat. „Ich dachte, ich kann in Deutschland das gleiche Geld verdienen, muss aber viel Weniger fürs Wohnen ausgeben“, sagt Owsian.
Bei Jakobs Söhne hat er eine 25-Stunden-Stelle angenommen. Das reicht ihm aus, mehr arbeiten will er nicht unbedingt. Es gibt ja noch mehr zu tun, mit alten und auch schon mit neu gefundenen Freunden weggehen zum Beispiel. Konzerte mag er, Kinofilme auch. Und er betreibt Kampfsport: „Früher habe ich in Görlitz Karate gelernt, das will ich jetzt wieder machen, es gibt hier eine sehr gute Karateschule.“ Außerdem fährt er viel in die großen Städte ringsum, nach Berlin etwa oder nach Wroclaw. Erst dieses Wochenende ist er nach Poznan gefahren, weil dort ein paar Bands aus Wroclaw aufgetreten sind. Görlitz sei ein guter Punkt in der Mitte: „Ich vermisse das Leben in der Großstadt nicht.“ Echte Nachteile am Leben hier hat er noch nicht gefunden: „Ich denke auch nicht, dass ich welche finden werde.“ Darum plant er, hierzubleiben. Wobei: Langzeitpläne schmiedet er nie: „Ich weiß doch nicht, was ich in 20 oder 30 Jahren machen möchte.“ Für jetzt fühle es sich auf jeden Fall richtig an, hier zu sein. Und zu Besuch in London ist er nie wieder gewesen, seit er seine Zelte dort abgebrochen hat.
Quelle: Sächsische Zeitung
Text: Ingo Kramer
Foto: Nikolai Schmidt
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