„Ich habe meinen Job wegen Brexit verloren, da war es Zeit zu gehen.“ Mit diesem einen Satz, erst flüssig auf Englisch, dann noch ein bisschen holprig auf Deutsch, fasst Bartek Truch kurz und bündig zusammen, was dann doch eine längere Geschichte ist. Gerade hat er erst die Möbel nach Görlitz geholt. Aus Großbritannien, wo er und seine Frau Anna viele Jahre zufrieden gelebt haben. Wo ihre beiden Töchter geboren und glücklich aufgewachsen sind.
Bartek und Anna stammen beide aus der kleinen polnischen Stadt Lubań. Sind dort zur Schule gegangen, ohne sich über den Weg zu laufen. Erst als Anna schon mitten im Germanistikstudium steckt und Bartek im tschechischen Skoda-Werk arbeitet, lernen sie sich kennen und verlieben sich gründlich, Anfang der 2000er Jahre. „Das Pendeln zwischen Privatleben und Berufsort war für uns normal.“ Bald nimmt Anna eine Stelle in Zgorzelec an, der polnischen Zwillingsstadt von Görlitz. Die polnische und die deutsche Kommune, nur vom Grenzfluss Neiße getrennt, haben sich zusammen 1998 zur Europastadt deklariert.
„Ich habe in einem Callcenter gearbeitet, für deutsche Kunden, für meine Sprachkenntnisse war das natürlich gut“, sagt Anna. Später wechselte sie einmal über den Fluss, hat auf deutscher Seite gearbeitet, im Büro und in der Gastronomie. Irgendwann wird die viele Fahrerei den beiden doch zu anstrengend. Ein neuer gemeinsamer Ort sollte es sein. Ihre Entscheidung fällt auf Wroclaw/Breslau. Die Jobsuche ist erfolgreich, Anna findet eine Anstellung im back office einer Bank, Bartek ist als Handelsvertreter landesweit unterwegs.
Was nicht ganz passt, ist das, was beiden am Monatsende finanziell übrig bleibt und der Wunsch nach einer eigenen Wohnung. „Der Wohnungsmarkt ist überheizt, wir haben nichts gefunden, was wir uns leisten konnten. Da kam der Gedanke auf, für ein paar Jahre nach Großbritannien zum Arbeiten zu gehen.“ Polnische Bekannte in Sheffield hatten Ihnen von den guten Verdienstmöglichkeiten erzählt und so wird die englische 600.000-Einwohner-Stadt mit großer Industriegeschichte zum Ziel ihrer Reise.
„Ganz so einfach war es nicht“, erinnert sich Anna Truch, „eine gut bezahlte Arbeit zu finden. Am Ende musste ich putzen gehen. Mein Mann hat als Bauhelfer angefangen.“ Der Ehrgeiz, hier nicht zu scheitern, hält sie über Wasser. „Die Arbeit in einem Altenheim hat mir geholfen, ganz schnell Englisch zu lernen, sonst wäre ich da untergegangen.“ Nach einem Jahr beschließen die beiden, zu heiraten. „Die Hochzeit musste natürlich in Polen sein, mit der gesamten Familie und allen Freunden. Danach wollten wir gar nicht mehr zurück auf die Insel.“
Am Ende hat das Gehalt sie dann doch wieder nach Großbritannien gelockt. „Und irgendwann haben wir dort dann angefangen, einfach unser Leben zu leben.“ Zwei Töchter kommen zur Welt, die polnischen und englischen Bekanntschaften vermischen sich. „Es war wirklich bequem geworden.“ Als sich die Brexit-Wolken immer dunkler über dem Land zusammenziehen, wird es auch für die kleine Familie kälter. Bis zu dem Punkt, als Bartek infolge der immer schwierigeren wirtschaftlichen Lage seinen Job verliert. „Wir haben nachgedacht, was wir machen sollen und endlich auf die ungefähr eine Millionen Anrufe meiner Schwester Monika reagiert“, lacht Anna. Die Schwester lebt in Görlitz, führt mit ihrem deutschen Mann ein Hotel. „Und sie hat immer gesagt, wenn Du kommst, kannst Du sofort bei uns anfangen.“
Die größtenteils in Görlitz verbrachten Schulferien im Sommer 2020 haben dann den Ausschlag gegeben. Und die vielen Tanten. „Für unsere Mädchen ist die nahe Verwandtschaft ein Segen. Sie werden von allen geliebt und verwöhnt.“ Jetzt heißt es noch einmal auf die Schulbank für Bartek und Anna. „Ich habe alles vergessen, was ich im Studium gelernt habe“, sagt Anna. „Und ich muss sowieso alles neu lernen“, meint Bartek. „Aber ich kann mich ganz gut durchbeißen. Das Wichtigste wäre, bald eine Arbeit zu finden. Erst einmal egal was.“
Text: Axel Krüger
Fotos/Video: Paul Glaser
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